Vergangene Woche übergab Wolfgang Hauck im Namen des Landsberger Kulturvereins «dieKunstBauStelle e.V.» dem Logistik-Manager des Flüchtlingscamps Nusaybin dringend benötigte Hilfsgüter – Babykleidung und Windeln – im Wert von 2.200 Euro. Diese Summe stellte der Verein „Netzwerk Selbsthilfe e.V.“ dem Verein dieKunstBauStelle für das Flüchtlingscamp zur Verfügung. Weitere Spenden stellten das „Netzwerk Selbsthilfe“ sowie der „Rotary Sozialfonds Greifenberg‐Schondorf e.V.“ für das «Cultural Relief Program» des Theaters «Die Stelzer» bereit.
In Nusaybin im Südosten der Türkei, nur fünf Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, führt das Theater «Die Stelzer» ein kulturelles Hilfsprogramm durch. Das Konzept hat Wolfgang Hauck bei seinem ersten Aufenthalt im Dezember 2014 entwickelt. Es baut auf einem Multiplikationseffekt auf: Trainer werden unter professioneller Leitung als Multiplikatoren ausgebildet, die wiederrum weitere Trainer ausbilden und Kinder mit kulturellen Angeboten betreuen sollen.
„Als ich vor einem Jahr das Ausmaß des „kleinsten“ Lagers in Nusaybin mit 3.975 Flüchtlingen und davon die Hälfte Kinder und Jugendliche sah, war klar: Hier müssen wir in anderen Dimensionen agieren“, meint der Initiator, der vom Goethe-Institut Istanbul als Experte für Kulturprojekte beauftragt und eingeladen war, ein kulturelles Hilfsprogramm umzusetzen. „Sieht man dann die Lager in Urfa und Jordanien mit 20.000 oder 120.000 Flüchtlingen, ist eine solche Konzeption unumgänglich.“
Aufgrund von Gewalterfahrungen und Fluchterlebnissen sind die Kinder und Jugendlichen auch traumatisiert. „Wir sind nun speziell in einem Flüchtlingslager der Jeziden, die nicht nur aus dem bürgerkriegsgebeutelten Syrien sondern auch aus dem Irak stammen. Diese Menschen fliehen nicht nur vor dem Krieg und IS, sondern werden zudem auch noch als religiöse Minderheit verfolgt. Ihr Alltag ist nicht nur voller Entbehrungen, sondern ohne jegliche Aussicht und Perspektive.“
Die Not ist groß
Die Grundversorgung in diesen Lagern ist zwar gesichert, aber das bedeutet nur: Essen, Wasser und ein Zeltplatz. Alles andere ist Luxus. Am härtesten trifft es dabei die jungen Mütter mit ihren Neugeborenen. Ihnen fehlen einfachste Hygieneartikel. Bis heute wurden rund 350 Kinder im Lager geboren. Alleine in diesem Jahr sind es 92 Neugeborene.
„Aus diesem Grund habe ich versucht, neben der kulturellen Hilfe auch eine kleine, aber direkte, humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Dafür konnte ich Spendengelder sammeln und nun 2.200 Euro verwenden“, sagt Hauck. Mit Hilfe der NGO „Her Yerde Sanat Derneği“ kauften sie 270 Erstlingskleidungs-Sets für Neugeborene sowie 270 Großpackungen Windeln.
Angespannte Lage
Ursprünglich war geplant, die Übergabe der Hilfsmittel mit dem weiteren Training im Lager zu verbinden. Die Landsberger Leonhard Mandl, Stelzentrainer, und Anselm Kirsch, Musik- und Percussionlehrer, waren zu diesem Zweck mit im Team. Es kam jedoch anders: Für die Stadt Nusaybin (ca. 140.000 Einwohner) war eine absolute Ausgangssperre verhängt. Im Zuge dieser Phase wurden sieben Zivilisten erschossen. „Die Situation ist äußerst angespannt und kritisch. Es gab mehrere tote Zivilisten“, berichtet der Leiter des Projekts. „Wir haben erst am letzten Tag vor unserer Abreise nach Deutschland vom Gouverneur die Erlaubnis erhalten, ins Lager zu gehen. Dabei konnten wir uns nur für eine Stunde dort aufhalten, um die Spende zu übergeben.“
„Auch, wenn es nur kleine Mengen an Hilfsmitteln sind: Wir sehen, dass es ankommt und wo es ankommt“, sagt Hauck. „Darüber hinaus hat unsere kleine Hilfsleistung jedoch auch den Zweck, Vertrauen zu Lagerverwaltung und Gouverneur aufzubauen, was immens wichtig ist für unsere weitere kulturelle und soziale Arbeit dort.“
Im Zuge der Übergabe gab es zumindest kurz die Gelegenheit, auf die Jugendlichen zu treffen, mit denen schon oft zusammen gearbeitet wurde. Sie waren gerade dabei, eine Vorführung für die kleineren Kinder zu präsentieren. Sofort war klar: Das Konzept „Training der Trainer“ funktioniert. Die Jugendlichen organisieren sich, stellen selber Kostüme her, denken sich Inszenierungen aus, kurz: Sie unternehmen etwas.
Unterstützung von vier „Circus-Heros“
Ein weiterer Spendenteil in Höhe von 4.000 Euro dient daher der Unterstützung von vier Jugendtrainern. Die vier Zirkushelden der NGO „Art Anywhere Assoziation“ einer „Social Circus School“ in Mardin sind der 14-jährige Ahmet, die 12-jährige Hale, der 14-jährige Eyad und der 13-jährige Khalid. Sie wurden bereits durch Wolfgang Hauck und andere Trainer ausgebildet, so dass sie nun wiederum andere Kinder unterrichten können. Mit diesen Geldern bekommen sie die Möglichkeit, eine Regelschule zu besuchen und ihre Ausbildung fortzusetzten. Das ist für diese Flüchtlingskinder keinesfalls der Normalfall: Sie müssten sonst sechs Tage pro Woche, jeweils zehn Stunden, für vier Euro am Tag arbeiten, um ihre Familie zu versorgen, die keine Möglichkeiten hat zu arbeiten oder Geld zu verdienen.
Diese wichtige kulturelle Hilfe, die auch unter traumapädagogischen Gesichtspunkten bedeutsam ist, wird nun auf den Irak ausgeweitet. Dort ist bereits ein Trainer aus dem Programm aktiv und hat eine erste Gruppe im Flüchtlingslager in Khanke (20.000 Flüchtlinge) gegründet. Er wurde mit Stelzen, Trommeln und Material durch das Goethe-Institut Istanbul ausgestattet. Auch hier werden Jugendliche ausgebildet. „Unser Ziel ist es aber auch, mit unserer Kulturarbeit humanitäre Hilfe einfließen zu lassen – soweit dies in unserem Rahmen möglich ist“, betont Hauck.
Die Erfahrungen aus den Projekten werden auch in Deutschland eingesetzt. Ein Folgeprojekt ist eine Kooperation mit der Schule in Schloß Zinneberg, wo mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gearbeitet und dabei auch integrativ Deutsch gelernt wird. Dazu hat Hauck Vorträge zur Lage im Irak, Syrien und der Türkei sowie einen Überblick über die Möglichkeiten kulturschaffender Maßnahmen gehalten.
Je mehr man die Problematik im arabischen Raum kennenlernt, um so schwerer fallen die Antworten auf Fragen nach Lösungen. Genau diesen Einblick braucht die Politik, um realistisch mit der Flüchtlingsproblematik auch bei uns umzugehen und zu planen. Da bestehen leider noch Informationsdefizite und zu kurzfristige Ansätze.
Der Bedarf ist weiterhin groß, ob für die Hilfsgüter oder für die Weiterführung der Kulturarbeit: Wer direkt spenden möchte, kann dieses online ganz einfach erledigen:
Spenden-Link: Humanitäre Hilfe Nusaybin
Spenden-Link: Cultural Relief Program
Infos zum Programm
www. CulturalRelief.org