Category : Geflüchtete

ART NO STOP

Ein europäisches Erasmus-Projekt verbindet Kunst und Sozialarbeit
Landsberg: Die europäische Union fördert ein soziokulturelles Kooperationsprojekt in dem der Verein dieKunstBauStelle die Realisierung der digitalen Gestaltung übernimmt.
Die Qualifikation und Erfahrungen der Partner aus der internationalen soziokulturellen Arbeit hat die EU-Kommission überzeugt, die dazu 200.000 Euro zur Verfügung stellt.

Teilnehmer

Für die aktuelle Arbeitssitzung kamen acht Künstler, Sozialarbeiter und Leiter sozialer Organisationen für vier Tage im Februar nach Landsberg.
Teilnehmer des internationalen Treffens in Landsberg waren die Leiterinnen eines Kultur- und Sozialzentrum in Brindisi (Italien), eines Integrationszentrums für Flüchtlinge und Kulturzentrum in Granada (Spanien), eines Street-Art-Vereins in Amsterdam (Niederlanden) und der soziokulturell tätige Verein dieKunstBauStelle aus Landsberg, der Gastgeber war.
Die anderen Standorte des geförderten EU-Projekts „Art No Stop“ sind in Spanien, Italien und in den Niederlanden. Dort werden die Arbeitssitzungen stattfinden, um die Erfahrung soziokultureller Projekte in einem Handbuch, Lehrgängen und einer Online-Plattform zu bündeln.
Foto: Conny Kurz
Bild 1: v.l.n.r: Dora Fanelli (SP), Gabrielle Cagnazzo (IT), Ankie Til (NL), Ed Santman (NL), Ayelen Bursztyn (SP), Sylvia Paradiso (IT), Wolfgang Hauck (DE)

Tamam – Sind Ausrufe übersetzbar?

Wenn wir erschrocken sind, sagen wir „huch“ oder „oh“, wenn wir uns weh tun, sagen wir „aua“ oder „autsch“, wenn jemand niest, sagt ein anderer „Gesundheit“. Klar. Selbstverständlich.

Wie ist das denn aber eigentlich in anderen Ländern und Kulturen? Sagt man dort auch „huch“ oder „oh“? Was erwidert man hier, wenn jemand niest? Das wollten wir an einem unserer Projektnachmittage herausfinden.

Wir haben uns zusammen gesetzt, uns unterhalten und gemeinsam überlegt. Und festgestellt, dass es in anderen Ländern auch ganz andere Ausrufe gibt.

„Ai“ oder „Ach“ sagt man in Syrien etwa, wenn man sich wehtut. „Acha“ lautet der Ausruf, wenn man nach großem Durst endlich etwas zu trinken bekommt, „Ouf“, wenn man keine Geduld mehr hat und genervt ist. Wenn jemand niest, erwidert der andere „Saha“, „Jala“ heißt „Auf geht’s“ und „Tamam“, der Name unseres Projektes, bedeutet „ok, alles gut“.

Wie auch schon beim letzten Projekttag, als es um Redewendungen ging, wollten wir natürlich auch dieses Mal von den Landesbergern wissen, ob sie diese „internationalen“ Ausrufe übersetzen können bzw. ob ihnen spontan eine Idee dazu einfällt. Und erneut sind wir mit unseren Aufnahmegeräten losgezogen in die Landsberger Innenstadt, um genau diese Ideen einzufangen.

Was dabei herausgekommen ist, war zum Teil sehr lustig. Ganz klar lassen sich natürlich die meisten spontanen Assoziationen auf den Klang des Wortes zurückführen. So dachten die meisten beim Ausruf „Saha“, ausgesprochen „Sacha“, spontan an die Wiener Sachertorte und benannten somit aus dem Bauch heraus „Saha“ als ein Gericht oder Essen. Aber auch Assoziationen wie „Soccer“ und damit ein Fußballspiel oder die „Sahara“ oder auch „Saha“ als ein Schimpfwort wurden genannt. Bei „Wala“, also der syrischen Redewendung für „echt, wirklich?“ dachten die meisten Leute an das französische „Voilà“ oder aber an das englische „water“ und gaben dementsprechend „Hier bitte“ oder „Wasser“ als Übersetzungen an. „Tamam“, auch der Name unseres Projektes,  wurde am häufigsten mit „Mama“ assoziiert – und viele kamen daher auf Mutter, Tante oder eine Person, die man lieb hat.

Es war jedenfalls eine Befragung, die allen, die sich darauf eingelassen haben, großen Spaß gemacht hat. Und die meisten wollten die Auflösung dann auch tatsächlich wissen. Natürlich haben wir es den Leuten auch nicht ganz so leicht gemacht – zunächst mussten sie das ausländische Wort nachsprechen, und zwar so lange, bis unsere Flüchtlinge das OK gegeben haben, dass es so auch richtig ausgesprochen ist. Meist waren sie jedoch gnädig bei der Beurteilung…

Tamam – Im Dienste der Wissenschaft

Ende Juni besuchten uns die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Universität Würzburg, Sabine Wolz und Tanja Wilkeneit, um sich einen typischen Tamam-Projekttag anzuschauen und sich einen Überblick zu verschaffen, was wir hier machen.

Der Hintergrund: An der Uni Würzburg wurde letzten November eine Forschungsstelle eingerichtet, in der mit den beiden Projektleitern – einem Professor der Kunstpädagogik und einem Professor der Sonderpädagogik – ein Forschungsprojekt durchgeführt wird. „Pädagogische Gelingensbedingungen und Wirkungen ästhetischer Bildung bei Menschen in sozial schwierigen Konstellationen („waebi“) – so lautet der Titel dieses Forschungsprojektes, das zwei Zielgruppen vereinen soll: Jugendliche mit sozialer Benachteiligung und Jugendliche mit Flüchtlingshintergrund.

„Vor diesem Hintergrund suchen wir zehn Projekte, die sich damit beschäftigen,“ erklärt Sabine Wolz. „Die Projekte haben wir über das Internet recherchiert, und dieKunstBauStelle ist uns sofort positiv aufgefallen.“

Im ersten Schritt haben sich die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen angeschaut, wie wir gemeinsam mit den Jugendlichen arbeiten und ob gewisse Kriterien erfüllt sind – etwa, dass die Jugendlichen eigene Ideen einbringen können. In einem zweiten Schritt, der in einem separaten Termin durchgeführt wird, werden Interviews mit den Jugendlichen und den Referenten gehalten.

Das wissenschaftliche Forschungsprojekt wird bundesweit durchgeführt. „Die Sparten stehen uns dabei offen – von Musikrhytmus, Tanz, Bewegung, Improvisation, über bildende Kunst bis hin zum Zirkus,“ berichtet Tanja Wilkeneit.

„Dabei schauen wir auch gerne nach Projekten, die parallel unterschiedliche Sparten aufgreifen, wie das von  dieKunstBauStelle, das zum Beispiel Theater, Videodreh und Interviewführung miteinander vereint.“

Tanja Wilkeneit und Sabine Scholz waren ganz beeindruckt von unserer Arbeit. Sie empfanden die Stimmung im Team als sehr positiv und haben gestaunt, wie engagiert sich die Jugendlichen – ob Schülerinnen und Schüler des IKG oder die jungen Geflüchteten – einbringen.

Der Forschungsbericht wird in Schriftform veröffentlicht werden – ob in Buchform oder anderer Verschriftlichung steht derzeit noch nicht fest – in jedem Fall wird er auch online zu lesen sein. Gefördert wird das Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

 

 

 

Tamam – Andere Länder, andere Redewendungen

Im Rahmen unseres Integrationsprojektes „Tamam“ sind wir in einem gemeinsamen kreativen Brainstorming auf die Idee gekommen, zu untersuchen, welche Redewendungen andere Länder und Kulturen haben.

So wie für viele der Geflüchteten unsere Redewendungen sicherlich seltsam klingen und unverständlich sind – etwa „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ oder „sich ein Herz fassen“, klingen natürlich Redewendungen aus ihrer Heimat für uns komisch, wenn man sie wörtlich übersetzt. Dem wollten wir näher auf den Grund gehen. Und zuerst natürlich wissen, was gibt es bei ihnen für Sprichworte und Redewendungen und vor allem was bedeuten sie? Denn das wird auf Anhieb nicht unbedingt deutlich…

So haben wir uns zusammen gesetzt, überlegt und gesammelt, und es kamen für uns lustige und nachdenklich stimmende Sätze heraus:

„Jemand lernt aus seiner Tüte.“

„Der Esel fällt nicht zweimal in ein Loch.“

„Der Traum des Teufels ist das Paradies.“

„Du hast ein Gesicht genommen.“

„Du bist wie ein Berg im Sturm.“

„Eine Frau kämpft mit dem Mund“.

Bei einigen Redewendungen kann man sich die Bedeutung gleich denken, einige sind auch unseren sehr ähnlich. „Der Esel fällt nicht zweimal in ein Loch“, das wusste gleich jeder von uns, bedeutet „Den gleichen Fehler nicht zweimal machen“. Was aber bedeutet wohl „Jemand lernt aus seiner Tüte“?

Das wollten wir auch von den Landesbürgern wissen, haben uns gemeinsam drei Redewendungen aus Syrien und Eritrea ausgesucht und sind, ausgestattet mit Mikrophon und Aufnahmegerät, mit den Jugendlichen losgezogen, um sie zu befragen. Schnell wurde deutlich: Für die Passanten war es gar nicht so leicht, hier auf eine Bedeutung zu kommen und manche mussten erst einmal ziemlich überlegen.

Den jungen Geflüchteten hat die Befragung großen Spaß gemacht. Es war interessant und lustig für sie zu hören, wie die Leute die für sie so eindeutigen Redewendungen interpretieren. Schön war für sie auch, der Landsberger Bevölkerung ein Teil ihrer eigenen Kultur näher zu bringen und sich teilweise auch mit ihnen dazu auszutauschen.

 

Tamam – ein Musikvideo entsteht

„Es gibt so viele Menschen, wovon erkenntlich viele fremden Menschen Liebe schenken, ohne an Profit zu denken
Menschen dienen Menschen in Krisen und vielen Momenten
Menschen wenden sich Menschen zu wenn sie frieren
Menschen spenden für Menschen, Menschen erziehen Menschen.“

So lautet die erste Strophe des Songs «Menschen» des deutschen Rappers Umse. Dieser widmet sich darin – wie der Titel schon aussagt – den Menschen: Es gibt gute, böse und die dazwischen, es gibt große, kleine, alte, junge, ganz unterschiedliche mit immer wieder anderen Charaktereigenschaften.

Klar wird jedoch: Umse wünscht sich mehr Menschen von einer ganz bestimmten Sorte: «Positive Menschen, ich meine diese Menschen, die nie aggressiv sind und sich auf die Harmonie beschränken.»

Neues, eigenes Video zum Song

Weil der Song von seiner Botschaft her so wichtig ist und absolut in unsere Zeit passt, haben wir uns entschlossen, ihn für unser Projekt zu verwenden. Schließlich geht es darin um Menschlichkeit, Toleranz und Integration. Wir werden zum einen mit den Flüchtlingen sowie den Schülerinnen und Schülern des IKG ein neues Video zu diesem Song produzieren. Zum anderen möchten wir ihn neu vertonen und lassen ihn von den Projektteilnehmern neu einrappen. Die Idee hierfür hatte Tobias Dengler, Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte beim IKG, derzeit „abgeordnet“ als Klassenleiter der Flüchtlingsklassen der Berufsschule.

Sprachliche Herausforderung

Um jedoch bewegte Bilder zum Song zu produzieren, ist es zunächst einmal wichtig, sich sprachlich mit diesem auseinanderzusetzen und den Text zu verstehen – für unsere jungen Flüchtlinge natürlich keine Selbstverständlichkeit. Daher sind wir ihn in Gruppenarbeit – jeweils mit den Schülerinnen und Schülern des IKG als Mentoren – durchgegangen, haben ihn gelesen, besprochen, um dann letztlich Ideen zu sammeln für die einzelnen Sequenzen zum Video. Denn nur wer die zum Teil recht tiefgründigen Zeilen versteht, ist in der Lage, eine bildliche Umsetzung zu realisieren.

«Das Lied passt sehr gut zu unserem Thema», sagt die 16-jährige Sophia, die als IKG-Schülerin die Flüchtlinge beim Projekt begleitet. „Wir erklären den Flüchtlingen, um was es geht und wie die Zeilen zu verstehen sind. Das Lied zeigt auf, dass es auch andere Seiten und Möglichkeiten für Menschen gibt, um einen besseren Umgang miteinander hinzukriegen.»

«Ich finde es gut, dass wir etwas mit Musik machen“, meint der 18-jährige Saimon aus Eritrea. «Es macht Spaß, ein neues Video zu dem Song zu erarbeiten. Das Lied gefällt mir gut, denn es geht darum, dass es keinen Krieg mehr geben soll, dass Menschen nicht mehr gegeneinander kämpfen, sondern in Frieden leben sollen.«Den Text kann ich schon verstehen, aber manchmal ist es schwer für mich, mich dazu auszudrücken.» Das Sprechen und Erlernen der deutschen Sprache ist – abgesehen vom Zusammensein mit deutschen Jugendlichen – für alle mitwirkenden Flüchtlinge ein zusätzlicher wichtiger Grund, beim Projekt mitzumachen. „«ch rede Deutsch und habe Spaß – deswegen komme ich», betont Saimon.

Bewegte Bilder

Auch mit der bildlichen Umsetzung haben wir bereits begonnen. Dass das mit sehr viel Spaß verbunden ist, kann sich sicher jeder vorstellen. Aber auch viel Geduld musste aufgebracht werden. «Man ist nicht der Erste, Zweite, Dritte, Vierte, Fünfte, der sich entscheiden muss, drum tu es oder wirf‘ ne Münze», rappt Umse. Dass es gar nicht so leicht ist, die geworfene Münze als Videosequenz zu zeigen, davon haben sich unsere Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer überzeugen können. Man braucht schon so einige Anläufe, bis alle vollständig zufrieden gestellt waren. Schließlich muss alles stimmen: Licht, Schatten, Position, Wurf der Münze etc.

Der 17-jährige Max, Schüler des IKG, der fast von Anfang an dabei ist, findet diese Projektphase am spannendsten. „Es ist toll, jetzt das große Ganze vor Augen zu haben, nämlich ein neues Musikvideo zu erstellen, das ergibt einen Sinn und motiviert. Dadurch, dass Musik als neue Komponente zum Projekt hinzu gekommen ist, wird alles noch viel interessanter. Weil Musik einfach so vieldimensional ist.»

Jeder kann dabei natürlich eigene Ideen und Vorschläge mit einbringen – alles wird berücksichtigt und zu realsieren versucht. Das findet der 20-jährige Zeya aus dem Irak besonders gut am Projekt: «Jeder hat eine Idee, das ist wichtig. Wir essen und spielen und arbeiten zusammen, das macht mir großen Spaß.»

Aber es ist auch noch viel zu tun. Im nächsten Schritt werden wir bisheriges Videomaterial – passend zum Songtext – zusammenschneiden. Und wir sind selbst schon alle ganz gespannt, was dabei am Ende herauskommen wird.